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1. Februar 2023

 

Gotland – Danbo Fiskeläge und das Schicksal

Es gibt Vieles, was sich, da noch Holz und Steinzeit herrschte, ein gotländischer Fischer nicht hätte träumen lassen. Dass die Holzzeit – das hölzerne Zeitalter – irgendwann vorbei sein könnte, hier auf Gotland, in einem der zahllosen kleinen Fischerdörfchen, den „Fiskelägen“, die man vielerorts an den Stränden der Insel noch gut erhalten findet – undenkbar!
Und dass einmal eine Zeit kommen würde, mit motorgetriebenen Schiffen aus Eisen, mit einer Schnelligkeit, ja Raserei ohnegleichen, ach! Kunststoffboote gar, die nicht jedes Jahr aufs Neue mühsam mit Teer kalfatert werden müssen. Häuser ohne Feuerherd und Kochstelle über offener Flamme? Unvorstellbar.
Der Alltag hält die Phantasie in strengen Grenzen, stutzt ihr unbarmherzig die Flügel, und setzt Unsicherheit, ja immer wieder ausbremsende Ängste an die Stellen, wo Neues in die Vorstellung kommen und in der greifbaren Realität Gestalt annehmen will.

Als ich einmal ein Stück der wild-einsamen Ostküste zwischen Ljugarn und Katthammarsvik entlangwandere, durch Strandwälder aus jahrhundertealten Kiefern, über Strandwiesen und Heide, weite Sand- und Klappersteinstrände, durch Dünentäler und über die Bruchkanten der Kalkklippen, vorbei an Raukarfelsen und vielfarbig gemusterten Findlingen – das ganze vielgestaltige Bilderbuch der gotländischen Küste ist hier aufgeblättert – reiht sich hier Fiskeläge an Fiskeläge: Ljugarn, Vitvär, Sjaustru, Grynge, Sandviken … und so geht es fort.
Sicherlich wurden all diese Ansiedlungen aus grauen Holzhütten oder steingedeckten Häuschen entlang der 800 km langen Küstenlinie der Insel gezählt. Wie viele mögen es sein? 20? Ich lese nach: 150 gibt es auf Gotland! Immer aufs Neue tauchen diese unvermuteten Relikte vergangenen, kargen Lebens und harten Arbeitens auf, laden den Wanderer zum Verweilen ein, so, als verlangsame sich hier der Schritt und das eigene Leben wie unter einem Vergrößerungsglas.

Museal wirkt das alles, ganzjährig und rund um die Uhr geöffnet, so wie beispielsweise in Ljugarn, Vitvär, Kovik, Kronwald, Gnisvärd, Ygne oder das vielleicht berühmteste – Helgumannen hoch oben im Norden auf Fårö. Wer würde da schon ein verwittertes, halb verfallenes hölzernes Ruderboot mitgehen lassen? Oder einen Feuerkorb, der hoch oben auf einem Holzmast befestigt ist? Niemand wird hier je wieder das Leuchtfeuer entfachen, das einst den spät von den Fischzügen heimkehrenden Seefahrern Orientierung gab. Aber sie sind alle instand und in Ordnung gehalten, als wären sie noch in Gebrauch.

In den einfachen, geduckten Holzschuppen oder mit Kalksteinplatten gedeckten Hütten aber wohnen im Sommer nicht selten auf kleinstem Raum Sommerfrischler, Familien, Singles, Junge wie Alte – Katzenwäsche in einer Waschschüssel, Abwasch draußen am Haus, Herzhausen ein Stück von der Hütte entfernt. Warme Dusche: Fehlanzeige.
Die Liebe zum einfachen Leben, die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit: sie findet hier reichlich Anlässe und Nahrung.

Auf meiner Strandwanderung bleibe ich in Danbo, auf halber Strecke zwischen den Fiskelägen von Sjaustru und Gryngvik überrascht stehen. Eine einzelne Steinhütte nur steht auf einer Anhöhe, weiß gekalkt. Sie zieht mich magnetisch an.

Die Tür mit ihren schnörkeligen, handgeschmiedeten eisernen Beschlägen wirkt wie der Zugang zu einer mittelalterlichen Strandkapelle, so wie etwa am Strand von Gnisvärd an der Westküste. Hier jedoch ist alles viel kleiner. Hauste ein Einsiedler hier, ein einsamer Sonderling?

Neugierig drehe ich den Schlüssel um, der an einer starken Kette befestigt ist – Vorsichtsmaßnahme gegen Souvenierjäger, die heutzutage leider fast alles mitgehen lassen, was nicht niet- und nagelfest ist. Holzteile, ein roh gezimmerter Tisch, vergilbte Fotos an der Wänden. Ein Blatt erzählt die Geschichte dieser Hütte.

Auf einer der an den Wänden ringsum angepinnten Photographien ist zu sehen, wie eine weiß gewandete, schöne junge Frau vor der Hütte auf dem felsigen Erdboden hockt und auf offenem Feuer kocht – Baronin Mary von Rosen ist es, wie ich erfahre, Mutter von sechs Kindern. Ein anderes Foto zeigt ihren Mann, Graf Eric von Rosen.

 

Ich betrachte seine markanten Gesichtszüge. Festen Willen und Entschlossenheit lese ich darin. Er trägt einen schlichten, mittelalterlich geschnittenen Kittel, bequem; ein Gewand aus einer längst vergangenen Zeit, wie es heutzutage etwa während der Medeltidsveckan in Gotlands Hauptstadt Väsby von Tausenden von „authentisch“ Kostümierten getragen wird. Kult.

Ein einfaches, ursprüngliches Leben hat von Rosen mit seiner Frau und seinen KIndern damals hier gesucht und gefunden, zum Ausgleich wohl für das verfeinerte, stilisierte Leben auf seinem Adelssitz im sörmländischen Rockelstad auf dem schwedischen Festland.

Oder gab es noch einen anderen Impuls?

Eric von Rosen – Kosmopolit, Ethnologe, Photograph, vielgelesener Schriftsteller, Bergsteiger und Pilot – entdeckt eines Tages als junger Mann auf Gotland einen besonderen Stein. Von dessen Anblick und Ausstrahlung ist derart elektrisiert, ja zuinnerst angesprochen, dass er die auf dem Stein eingemeißelte Swastika fortan als persönliches Glücksymbol, als Talisman verwendet. Rosen tut dies geradezu mit Entschlossenheit, ja mit einer Art Besessenheit, etwa, als er während der Vorbereitungen zu seiner Südamerika-Expedition im Jahre 1901 die Swastika auf sein gesamtes Gepäck aufnähen, aufdrucken oder hineinschnitzen lässt. Es ist, als wolle er mit dem uralten Glückszeichen – vermeintlich der Wikinger – an deren wagemutige Fahrten anknüpfen und deren mutvollen Eroberungs- und Endeckergeist für sich unterstützend heraufbeschwören. (Auch die Räume und die Einrichtungsein seines Schlosses in Sörmland versieht Rosen vielfach mit diesem Zeichen.)

Der Ursprung der Swastika im Norden mag bis in die Bronzezeit zurückreichen. Als magisches Kraftsymbol oder als krönender Schlussstein eines Grabes waren derartige Glücks- oder Sonnensteine jedenfalls bis in die Wikingerzeit hinein gebräuchlich.

Sonnenstein. Gotland, Fornsalen Museum.

Vorsichtshalber sei’s gesagt, dass die Menschen der Bronze- oder Wikingerzeit oder etwa die Inder damit keineswegs die spätere Naziideologie vorausnahmen. Deren nach Macht strebende und sich schließlich selbst ermächtigende Bewegung benutzte erst ab 1920 ein nach rechts gewinkeltes und 45 Grad gedrehtes Hakenkreuz als NSDAP-Logo. Ab 1935 wurde es dann zum allgegenwärtigen, zentralen Zeichen des tausendjährigen Reiches gemacht, indem es in sein Gegenteil verkehrt wurde – aufgeladen nicht mehr mit Glück und Licht, sondern mit Finsternis und Zerstörung.

 

Es ist sehr still in der Hütte am Steinstrand von Danbo. Fasziniert betrachte ich die luzide Schönheit der Ehefrau von Rosens.

                                                                         Mary von Rosen (1883 – 1967)

Diese hochsensible Frau war ihrerseits durchdrungen von einem christlich-klösterlichen Impuls, der sie zu einer Identifizierung mit der mittelalterlichen schwedischen Heiligen Birgitta trieb. In ihrem Wohnsitz auf Schloss Rockelstad hatte Mary sich eigens im südostlichen Turm eine der Heiligen geweihte Kapelle einrichten lassen, in der sie ihrem Trieb nach mystischer Verinnerlichung nachging. (Sie war Mitbegründerin der schwedisch-lutherischen „Societas Sanctae Birgittae“, die sie von 1920 bis 1964 als „Moder Superior“ führte. )

 

Beim Lesen der Begleittexte in einem zerschlissenen Buchexemplar stoße ich auf einen verhängnisvoll klingenden Namen. Mir ist plötzlich zumute, als würde der winzige Raum und der Platz davor durchweht von etwas Rätselhaftem, das sich einstellt, wenn sich kleine, menschliche Schicksale mit einem größeren, überpersönlichen Schicksal in Resonanz begeben – wenn nicht verbunden oder verstrickt, so doch angehaucht werden von diesem Großen, das wir Weltgeschichte nennen. Und was für eine Weltgeschichte ist das, w a r das!

Für Augenblicke fühle ich mich zurückversetzt in eine Zeit, wo die alten nordischen Götter Thor, Odin und Freya in grausamem Widerstreit lagen mit dem Christentum. Eine Zeit blutiger Befruchtungen von zu Tode erschreckten Völkern durch die ebenso kühnen wie brutal- gierigen Raub- und Eroberungszüge der Wikinger ist es, mit denen diese immer wieder die Küsten und Flüsse, Dörfer, Klöster und Städte in den Gebieten Deutschlands, Frankreichs, Spaniens und Englands überziehen, und der Christengott ließ es zu. Das befeuerte und bestärkte die Nordmänner in ihrer Raub- und Eroberungslust. Der Stärkere überlebt im Kampf ums Dasein – so scheint es jedenfalls rein äußerlich betrachtet. Aber wo waren die Wikinger nach ein paar Jahrhunderten geblieben? Die , die blieben – und das waren nicht wenige –  sind aufgegangen in den Völkern, die sie überfielen, haben sich vermischt, sich assimiliert, sind sesshaft geworden in den eroberten Ländern und sie haben den alten Göttern zugunsten von Christus und Maria abgeschworen.

 

Ich betrachte die markanten Gesichtszüge Eric von Rosens. In seinen Augen lese ich Nachdenklichkeit, Schwermut, ja vielleicht ein Anflug von etwas Tragischem.

                                                                                         Eric von Rosen (1879 – 1948)

Für Momente erscheint mir der Mann so, als wäre die tollkühn-entdeckende Willensart der längst untergegangenen seefahrenden Eroberer in ihm wieder aufgelebt. Als müsse er, wie getrieben, etwas von „damals“ fortsetzen. Der Grenzgänger und Entdecker Eric von Rosen (das ist eine Geschichte für sich), der z.B. auf einer seiner vielen Expeditionen ganz Afrika der Länge nach durchquerte, rastlos als Ethnologe, Bergsteiger und Reiseschriftsteller und nicht zuletzt als Pilot tätig: wagemutiger Eroberer des Luftraums – ein Element, das den Wikingern von damals noch nicht zugänglich gewesen war. Wie stark mag Rosen sich wohl mit diesem „Geist der Wikingerzeit“ identifiziert haben?

 

Hier in Danbo, an der archaischen Ostküste des geschichtsträchtigen Gotlands, in dieser abseits gelegenen Hütte ist diese Identifikation für mich geradezu handgreiflich. Möglicherweise lebte in Eric von Rosen wie ein nationalromantischer Wikingerimpuls – romantisch, und doch eine treibende, motivierende Kraft mit gleichsam tausend Jahren Verspätung, und darum in der modernen Zeit zur Unfruchtbarkeit verurteilt…, ja, mehr noch: verdammt dazu, zurückzufallen in „heidnische“ Zerstörungswut und Lebensverneinung, schlimmer denn als damals, da diese treibende Kraft sich nicht mit dem Lichte der Erkenntnis der notwendigen Zeitforderungen nach dem 1. Weltkrieg zu erfüllen vermochte. Diese Zeitforderungen lagen allerdings nicht in Nationalismen und in Rassenlehren, die insbesondere unter der deutschen Professorenschaft in der Nachfolge Darwins und Heckels in Deutschland Hochkonjunktur hatten – Jahrzehnte noch, bevor sie als verhängnisvoller wahnhaft-wissenschaftlicher Maßstab von den politischen Zielen und dem politischen Handeln aufgesaugt wurden.

Rosen – ein Mann der Tat – leistete beispielsweise einen entschlossenen Beitrag im finnischen Bürgerkrieg. Nach einem Aufruf vom finnischen General Gustav Mannerheim unterstützte er die Weiße Armee durch den Erwerb eines Flugzeuges, auf dessen Tragflügeln er sein Wikinger-Glückszeichen – eine blaue Swastika auf weißem Grund – aufbringen ließ. Die Maschine überführte er am 6. März 1918 persönlich nach Finnland. Dieses Datum gilt übrigens als das Gründungsdatum der finnischen Luftwaffe. (Die Swastika zierte bis 1945 alle Flugzeuge der finnischen Luftwaffe und wurde erst 2017 offiziell abgeschafft.)

Mit nationalsozialistischer Parteinahme hat Rosens Verwendung der Swastika jedoch nichts zu tun. Sie ist – wie gesagt – sein persönliches Glücksymbol mit jahrtausendealten Wurzeln. (Erst 1920 kommt das Hakenkreuz bei den Nazis in Deutschland in Gebrauch.) Aber das Verhängnis, das sich an dieses Symbol anhaftet, liegt schon in der Luft, und es zog auch Eric von Rosen in seinen Bann.

Als er in der Sturmnacht im Februar 1920 unbedingt noch von Stockholm nach Hause fahren will, sind alle Eisenbahnverbindungen schlechtwetterbedingt gestrichen. Rosen begibt sich kurzentschlossen zum Flugplatz. Dort willigt schließlich ein bei der Svensk Lufttrafik AB neu eingestellter Chefpilot ein, den drängenden Grafen durch den tobenden Schneesturm nach Rockelstad zu fliegen, koste es, was es wolle. Mit Müh und Not, halsbrecherisch, zeitweilig im Blindflug und den sicheren Tod vor Augen, notlandet der Pilot die Maschine auf dem Eis des nahen Båvensees. An einen Rückflug ist bei diesem Wetter nicht zu denken.
Als der Draufgänger – übrigens ein Deutscher, der im noch nicht beendeten 1. Weltkrieg ein mit dem Orden pour le merit hochdekorierter Flieger gewesen ist – sich nach seinem todesmutigen Heldenstück in der Halle des Schlosses aufwärmt, begegnen seine Augen denen der Schwester der Ehefrau seines Gastgebers, Carin von Kantzow, eine in Stockholm stadtbekannte Schönheit.

 

Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Der charismatische Gast und die um vier Jahre Ältere verlieben sich auf den ersten Blick ineinander. Dass Carin eine noch verheiratete, von ihrem Ehemann allerdings entfremdete Ehefrau ist und obendrein noch Mutter eines siebenjährigen Jungen, hindert die beiden nicht, eine LIebesbeziehung einzugehen.

Etwas emotional Überwältigendes muss sich damals zwischen den beiden abgespielt haben, denn Carin ist wenig später sogar bereit, sich auch von ihrem Sohn Thomas loszusagen und mit ihrer neuen Liebe vor dem Skandaltratsch der feinen Stockholmer Gesellschaft nach München zu fliehen. Dort lebt nicht nur die Mutter ihres Geliebten, sondern dieser schließt sich dort schon bald einer radikalen nationalistischen Protestbewegung an. Zwei Jahre später lernt er den fanatischen Anführer dieser Bewegung persönlich kennen. Auch hier funkt es, wie bei einer Liebe auf den ersten Blick. Damit beginnt seine steile Karriere. (Dieser Erfolgsweg und der damit verbundene ungeheuerliche Machtzuwachs verändern übrigens die Gesichtszüge und die Statur des Mannes geradezu dramatisch. Zwischen dem abgebildeten selbstbewusst-schneidigen Unifomierten und dem späteren Innenminister und „Reichsfeldmarschall“ scheint es kaum eine Verbindung zu geben.

                                                                                       Carins Geliebter im Jahre 1923

Hinzu kommt eine unheilbare Morphiumabhängigkeit nach der Schmerzbehandlung infolge einer schweren Schussverletzung, die er sich während des niedergeschlagenen Hitler-Putsches im November 1923 zugezogen hat. Seine Persönlichkeit zersetzt sich unter dem Einfluss der Droge danach zusehends und unaufhaltsam, so, als wenn eine ganz andere, geradezu dämonisch- zerstörerische Macht rapide Besitz von seinem Körper ergreifen würde.…

 

Der Mann – kein anderer als Hermann Göring ist es – begegnet nun während seines unfreiwilligen Zwischenstopps auf von Rosens Besitz immer wieder der Swastika im Dekor der Räume, der Möbel und im kleinen Jagschloss. Er ist verwundert und tief beeindruckt von den geschichtsträchtigen, atmosphärisch dicht mit Bedeutung aufgeladenen Räumen des Schlosses. Was bedeutet das alles?

Fasziniert lauscht Göring den geschichtlichen Ausführungen des Schlossherrn über die Herkunft, Bedeutung und Macht dieses nach seinen – Rosens – vielfältigen Erfahrungen äußerst wirksamen Kraftsymbols. Zwischen den beiden Männern beginnt sich so etwas wie eine Seelenverwandtschaft zu entwickeln, die schließlich durch die Heirat von Carin und Hermann Göring im Januar 1923 zu weitreichenden, auch physisch-verwandtschaftlichen Beziehungen führen wird. (Möglicherweise hat am Ende diese Beziehung zu dem zweitmächtigsten Mann des Hitler-Reiches sogar verhindern können, dass Schweden okkupiert wurde wie die anderen skandinavischen Länder. Auch wird die willige Lieferung von kriegswichtigem schwedischen Eisenerz zur „Befriedung“ ihren Teil beigetragen haben

Die am Beginn ihres vierzigsten Lebensjahres an Tuberkulose erkrankte Carin erleidet am Tage nach der Beerdigung ihrer Mutter einen Herzinfarkt. Göring reist sofort zu der in Lebensgefahr Schwebenden. Vier Tage vor ihrem 43. Geburtstag stirbt sie – 8 Jahre war sie mit Göring verheiratet – an den Folgen der Herzattacke. Für Göring ist der Tod Carins ein Schock, den er u.a. durch den Bau von „Carinhall“ kompensiert – jenes berühmt-berüchtigte Anwesen in der Schorfheide, das schon dem Namen nach anspielt auf die große, herrschaftliche Halle eines großen Wikingerkönigs.

Doch was hat dieser Mann mit den historischen, willensstarken Wikingerpersönlichkeiten zu tun?  E r ist leer – entleert durch die Droge, auch durch die „Droge Macht“, leer und „ohne „Ich“ – wie so viele – durch die Abhängigkeit von Hitler. In diese Leere können ganz andere, fremde Kräfte einströmen, blähen den Mann bis zur Unförmigkeit und Formlosigkeit auf …

Seine hochsensitive Ehefrau spürt zunehmend dieses Fremde auch in Eric, vor allem aber in den persönlichen Begegnungen mit Göring und Hitler. Ihr wird bei solchen Anlässen immer öfter übel, Unruhe erfasst sie und schließlich erleidet sie bei ihrer letzten Begegnung mit Hitler unvermittelt einen Nervenzusammenbruch.

 

Erst als Hitler im März 1939 in die Tschechoslowakei einmarschiert, scheint auch Eric von Rosen aufzuwachen. Viel zu spät allerdings, aus heutiger Sicht geurteilt.
Zu lange hatte er mit Göring und den Nazis sympathisiert und kooperiert. (Von Rosen gehörte zu den Mitbegründern des Schwedischen Nationalsozialistischen Blocks (NSB). Er publizierte in rechtsextremen Zeitschriften als eine wichtige Verbindungsperson zwischen der nationalsozialistischen Bewegung in Schweden und dem nationalsozialistischen Regime in Berlin und blieb auch nach dem Tod seiner Schwägerin mit Hermann Göring in persönlicher Verbindung.)
Erst 1938/39, bei der Okkupation der Tscheslowakei, erkennt er wohl seinen Irrtum, muss er, der Welt- und Lebenserfahrene sehen und vorausahnen, in welches unermeßliche Weltkriegs-Blutbad die Wikingerromantik, die er so ernst genommen hat, führen wird …

Auf dem Schlosshof in Rockelstad türmt er im März 1939 mit der ihm eigenen Entschlossenheit all die Dinge und Geschenke auf, die ihn an Hermann Göring und an die Nazis erinnern. Einsam, tief resigniert und von dunklen Ahnungen erfüllt, schaut Eric von Rosen zu, wie die Flammen all dies aufzehren.

Und doch lässt sich nichts dadurch ungeschehen machen. Das Schicksal nimmt weiter seinen Lauf. …

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Als ich die geschichtsträchtige Hütte von Danbo verlasse und die die niedrige Tür hinter mir mit dem angeketteten Schlüssel wieder verschlossen habe, fällt mir Goethes „Faust“ ein:  „ Es irrt der Mensch, so lang er strebt …“.

Mein Blick schweift über die bleigrau daliegende Ostsee. Sollen, können wir darum aber aufhören zu streben –  zum Beispiel nach Frieden und Humanität?

 

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29. Januar 2023

 

Unwahrhaftigkeit und Lüge haben  heutzutage so kurze Beine, dass zu ihrer Forbewegung die Köpfe rollen müssen.

 

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25. Oktober 2022

 

Beim Gang über den städtischen Friedhof blieb mein Blick am monumentalen Grabmal des Fregattenkapitäns a.D. Steinbrink haften. Aus der Inschrift ging  hervor, dass er Träger eines einst höchsten vaterländischen Ordens gewesen war. Der Hinweis auf den Orden und Rang des Verstorbenen, der zudem Ehrenbürger der Stadt gewesen war, im Verein mit dem vergleichsweise mächtigen steinernen Denkmal wirkten zusammen ernst und ehrfurchtgebietend, trotzdem befremdeten mich – wie auch an manch anderer Grabstelle, wo ein „Dr.med.“, „Kammersänger“, „Kirchenmusikdirektor“ oder „Oberlandesgerichtsrat“ dem Namen des Verstorbenen vorangestellt war, all diese einst wichtigen Titel und Ränge. Waren und sind denn die Seelen der Verstorbenen nicht mehr und bewegen sich nun in ungleich größeren Dimensionen als diese zu Lebzelten einst bedeutenden Attribute es festlegen? Auch die in emaillierten Rahmen auf den Grabstein oder das blank lackierte Holzkreuz reproduzierten Fotografien der Verstorbenen befremdeten mich, womöglich noch stärker, weil sie den Verstorbenen auf ein Bild, eine Momentaufnahme festlegen. Wirkt das nicht angesichts der zeitlosen Dimensionen des nachtodlichen Lebens geradezu bizarr? Um wieviel stimmiger dagegen der Äskulapstab über dem Namen und den Lebensdaten, oder ein Violinschlüssel – Symbole, die weit über die zeitgebundene Einzelpersönlichkeit hinausweisen: der Tote kann in seiner abgelegten, besonderen irdischen Prägung als Teil eines größeren Ganzen erinnert werden, aber gelöst von Rechtsformen und Konventionen, wie sie in eingemeißelten Titeln und akademischen Rängen zum Ausdruck kommen.

Der Friedhof lag unterm Glast der heißen Sonne des späten Vormittags still da. Hier und die da stand in ferner liegenden Gräberreihen eine einsame Person an einem Grab, hinabgebeugt oder mit einer Gießkanne die dürstenden Planzen tränkend. Wie wohltuend der Schatten der hohen Bäume war. Der Blumenstrauß, den ich auf das Grab meiner Mutter gestellt hatte – ähnlich jenen üppigen Sträußen, wie sie ihr mein Vater jahrzehntelang als Liebes- und Freudezeichen oft nach Feierabend aus seinem reichhaltigen Staudengarten mitgebracht hatte (ihr, mit der er 73 Jahre verbunden zusammengelebt hatte) – ihr bereitete dieser Gartengruß spürbar Freude: Blumen aus dem eigenen Gartenparadies, nichts Gekauftes, Gekünsteltes und Gezüchtetes. Und in dieser Freude spürte ich, wie die Zeitmembran, die mich vom „Drüben“ trennte, durchlässig geworden war.

 

Ich stand vor den Grabstellen meiner Mutter, meiner Großeltern, meiner Tante, meines Onkels, deren Grabsteine und Schriftformen in der gleichen Farbe und Form gestaltet sind. Beim Lesen der Geburts- und Sterbedaten verfiel ich auf ein kombinatorisches Spiel. Die Jahreszahlen, die Monate und Tage erschienen mir wie  Larven, Maskierungen oder Verschlüsselungen eines tieferen Sinns. Aber die Maske der Zahlen sitzt fest auf dem Antlitz des Schicksals, das sich darunter verbirgt. Es will sich noch nicht zeigen. Erst, wenn ich durch die Zeitmembran hindurch auf die andere Seite des Stroms gelangt bin, wird sich’s mir entschlüsseln – jedenfalls hoffe ich das.

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24. Oktober 2022

Beim Gang über den alten Friedhof sah ich, wie sich die Ästhetik der Grabgestaltung gewandelt hat und wandelt:

Vom schweren, schlichten Ernst des polierten schwarzen Granits, der anarchischen Findlinge, der eisernen Kreuze und monumentalen Stelen mit Rang und Namen des Verstorbenen – hin zum Dekorativen und Demonstrativen, das oft mehr über die Hinterbliebenen aussagt, als über die Verstorbenen. Dass sich dahinein allzu Zeitgebundenes, mitunter Verspieltes, ja Kitschiges hineinmischt ist die eine Seite: Herzsteine mit blumigen Gravuren, Kunststoff-Engelputten nach Raphaels „Sixtinischer Madonna“ in vielen Größen und Materialien und emaillierte Farbfotos des Verstorbenen gehören dazu, die die persönliche Bedeutung und Beziehung für die Hinterbliebenen nachdrücklich aufzeigen – weniger wohl für den Toten, dessen vergängliche Überreste unter der Erde liegen.

Oder verbirgt sich hinter diesen sinnlich-oberirdischen Zeichen des Totenkultes doch der Glaube, dass die Seele des geliebten Menschen diese Zeichen und Botschaften aus dem Dekor des Diesseits zu lesen, zu hören, besser: zu vernehmen versteht? All dies – auch der Kitsch und die pompösesten Steinmale – sind letztlich der Versuch des Brückenschlags, des Kontakthaltens mit dem Andern, kurz, der Liebe und der Sehnsucht und setzt die unsichtbare Realität des Toten voraus.

Auch wenn also sich das ästhetische Empfinden gewandelt hat – geblieben ist, wie schon seit den Zeiten etwa der christianisierten Wikinger, die ihren vornehmen Toten mit Kreuzen und Namen versehene Runensteine mit als Deckstein auf das Grab legten – ich denke an die jüngste sensationelle Entdeckung der Grabstätte der Wikingerfrau Kata im West-Götaland in Schweden (Kata Gård, Varnhem, Schweden) – geblieben also ist das Bestreben, den Toten einer namenlosen Vergänglichkeit, dem NIchts zu entziehen. Name, Lebensdaten, schließlich auch Beruf oder Rang spielen eine immer größere Rolle.

Doch auch die Gegenbewegungen sind stärker geworden: anonyme Bestattungsplätze, Friedwälder oder Feuer- und Seebestattungen: der Einzelne geht zurück in die große Einheit und Namenlosigkeit der Elemente Feuer, Luft, Wasser, Holz und Erde …

 

 

 

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12. November 2022, 10:30 Uhr,

Saal der Freien Kirchengemeinde Buckow,

Neue Promenade 34, 15377 Buckow (Märkische Schweiz)

 

Oskar und die Dame in Rosa

Fassung für musikalisches Erzähltheater nach der gleichnamigen Erzählung von Eric Emanuel Schmitt 

Ausführende: Kerstin Yvonne Lange (Idee, Textfassung) - Oskar, Carsta Zimmermann - Oma Rosa
Jürgen Motog - Klavier, Schlagwerk, Melodika

 

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Sonntag, 4. September , 17.00 Dorfkirche Kleinmachnow

 

Der Weg zwischen Himmel und Erde

– von Orgeln, Trollen und Kantoren

Mit Bettina Mros (Violine, Fidel), Claudia Deglau (Lesung & Gesang) und Jürgen Motog 

(Harmonium, Nyckelharpa, Birkenlure, Akkordzitter, Kantele)

 

Der Einbau der neuen Orgel schreitet zügig voran. Sie materialisiert sich buchstäblich vor unseren

Augen. Auch wenn sie im letzten Benefizkonzert natürlich noch nicht erklingen wird, so haben wir die

Orgel, auch die Neue, thematisch ins Zentrum unseres Programms gestellt. In anekdotischen

Geschichten aus fremder und eigener Feder erzählen wir von besonderen Begegnungen und höchst

wunderlichen Begebenheiten. Ein alter Kantor gerät ganz außer Fassung, als ein Trollvolk seine

missgestimmte Orgel ganz neu zum Erklingen bringt. Der Sohn des Potsdamer Nikolaikantors

konzertiert in der schwedischen Provinz und trifft unerwartet auf die große Dichterin Selma Lagerlöf.

Ein Abstecher in die Berliner Orgelbauwerkstatt führt eine überraschende Wendung herbei. Der

unermüdlich Suchende findet die Trollkirche und dazu eine ganz erstaunliche Orgel. Während einer

Konzertreise auf Rügen werden Inselorgeln und wohlriechender Westkaffee zur Offenbarung.

Text und Musik wechseln wie die Seiten eines klingenden Bilderbuchs. Mit einem facettenreichen

Instrumentarium aus Geige, Fidel, Harmonium, Nyckelharpa, Birkenlure, Akkordzitter, Kantele und

Trommel mischen sich nordische Melodien und sphärisch-mystische Klänge mit Zitaten aus Barock

und Romantik als klingender Rahmen für kurzweilige Texte. Wir freuen uns auf Sie am 04.09.2022 um

17 Uhr in der Dorfkirche Kleinmachnow! Wir bitten um das Tragen einer Maske.

 

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20. Juli 2022

Sankt Göran, der Kämpfer gegen den Drachen

Ich flüchtete vor den Hammerschlägen der Bässe, die von einer Bühne am Hafen aus die ganze Altstadt bis in ihre letzten Winkelgässchen und verborgensten Hinterhöfe überwältigten. Kein Entrinnen. Ein letzter Blick auf die zuckende, von Zeit zu Zeit auftosende Menge – dann gab ich meinem Fahrrad die Sporen und fuhr die Strandpromenade hinunter in Richtung Norden. Dieser Weg entlang des Meeresufers ist für mich eine Liebeserklärung Visbys an ihre Besucher. Wer beim Anblick der Stadtsilhouette beim Auftakt, den die Strandpromenade mit dem Almedalenpark und dem alten Pulverturm nimmt, nicht spätestens hier von ihrer ganzen Schönheit gepackt wird, dem ist wohl nicht zu helfen. Er wird Visby verlassen, ohne den Liebesblick der Stadt erwidert zu haben und in ihr uraltes und zugleich ewig junges Antlitz geschaut zu haben.

Aber wohin nun? Ich passierte schon bald den ausgedehnten Gebäudekomplex des Krankenhauses mit seinen vielen Abteilungen, Notfallambulanz, Hubschrauberlandeplatz, die Psychatrie – ja, auch auf der scheinbar heilen Sonneninsel Gotland sind sie zu finden: Depression, Weltangst, Zerspaltung, Agonie des Herzens und die Schreckenslabyrinthe der Seele.

Zwischen hohen Baumwipfeln fiel mein Blick auf die hohen Giebel der Ruine von St. Göran – neben der Heiliggeistkirche innerhalb der Stadtmauern einst der Ort für die Kranken und die mit Mühsal Beladenen… bestimmt ist es kein Zufall, dass das moderne Krankenhaus so nahe an diesem Ort sich auswuchs, an welchem im Mittelalter Aussätzige gepflegt wurden.

Ein Stück Weges weiter hielt ich an der Trojaburg an.

 

 

An diesem ganz greifbaren und begehbaren Labyrinth, dessen aus Findlingen gelegte Wegschlingen auf der Wiese unterhalb des Galgenberges ein kunstvolles Relief bilden, verweilte ich. Merkwürdiger Dreiklang dieser drei Orte, deren Sinn in Vergessenheit geraten ist: der Galgenberg als Hinrichtungsort, hoch über mir auf der Klippe gelegen, das Labyrinth mit seiner ihm innewohnenden, ureigenen Richtungsgebung, sofern man sich auf dessen Wegmuster einlassen mag, und schließlich die abgelegene Ruine von St. Göran, nach Osten ausgerichtet, zum Licht der Welt, wie es alle Kirchen tun.

Etwas von dort drang wie ein leiser Ruf hinunter zu mir, so dass ich auf eine Begehung des Labyrinthes verzichtete. Wenige Minuten später stand ich vor der viereckigen, aufragenden Chorwand mit den drei frühgotischen Lanzettfenstern. Jahre lag mein letzter Besuch zurück. So mächtig aber hatte ich die Ruine gar nicht in Erinnerung wie sie mir nun erschien – als hätte sie steinerne Jahresringe gebildet und wäre gewachsen.

Ich umrundete St. Göran auf verkrauteten Trampelpfaden. Offensichtlich verirrten sich nur wenige Menschen bis zu diesem im Schatten alter, hoher Bäume liegenden Bau.

 

Abseits aber, wer ist’s?

Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad,

Hinter ihm schlagen

Die Sträuche zusammen,

Das Gras steht wieder auf,

Die Öde verschlingt ihn.

 

(Goethe, Harzreise)

 

Verwunschener Ort, vergitterter Ort auch. Ich fand mich ausgesperrt. Jede Pforte, jede Fensteröffnung mit schwarzen Eisenstäben und starken Schlössern gesichert, keine Chance auf Einlass.

 

 

St. Göran oder auch St. Georg – Drachenbesieger und einst Schutzheiliger der Kranken, ist nicht zuhause, ist abgereist auf unbestimmte Zeit, vielleicht ausgewandert, wer weiß. Keinen Altar erspäht mein suchender Blick zwischen den Gitterstäben, kein Kapitell mehr an den Säulen oder … doch – ein paar verwitterte Blattformen entdecke ich, vielleicht eine Lilie.

Nur nackter, verwitterter Stein, der im Laufe der Jahrhunderte ein felsengleiches Antlitz bekommen hat.

Ich fühle mich erinnert an die Felsenkirchen Äthiopiens, die als Ganzes aus dem Fels herausgehauen sind – ausgehöhlte, riesige Blöcke, nein viel mehr und größer noch: ein ganzer Bergkubus. Eine ungeheuerliche Architektur, in der Liebe, unendliche Mühsal und räumliche Phantasie eine einzigartige, zutiefst erstaunliche Verbindung eingegangen sind. Einbäume kennen wir ja, auch Musikinstrumente, gefertigt aus einem einzigen ausgehöhlten und geschnitzten Stück. Aber eine Kirche aus einem Berg herausgeholt, wie ein Michelangelo eine Skulptur schon im unbehauenen Block fertig vor sich sah? Doch nun sich vorzustellen, er hätte auch noch das Innere der Marienfigur – etwa seiner florentinischen Pieta – ihr Herz, ihre Lunge, ihre Gebärmutter gestaltet … .

So also wirkt St.Göran. Als hätte man die Kalkklippen ringsumher weiträumig weggeschlagen …

Noch in Jahrhunderten wird das so dastehen wie jetzt. Ab und zu erweckt man diese gewaltigen Reste zum Leben – Ruinenromantik, eine schön beleuchtete Bühne, herbeigeschafte Bestuhlung, Catering und gepflegte Getränke in der Pause. St. Göran aber ist abgereist, wird den Theater- oder Konzerteinladungen nicht folgen und beiwohnen.

 

Andere Vorstellungen, andere Lieder waren es, die hier einst gegeben, gesungen wurden, andere Seufzer ausgestoßen, andere Schmerzen gefühlt und  verschmerzt, andere Bilder und Hoffnungen zum Leben erweckt. Welche Liturgien, welche Anrufungen, Bitten und Zusprüche haben diesen riesigen Raum durch all die Jahrhunderte hindurch imprägniert?!

„Lamm Gottes, der du trägst unsere Mühsal und Krankheit, ja, der du trägst die Sünd, die Schuld der Welt: erbarm dich unser, gib uns deinen Frieden …“.

Wie aus der Zeit gefallene Worte sind das, doch das Lamm, den Kreuzstab haltend, ziert noch heutigentags die Flagge Gotlands. Und Schuld ist auch übergenug in der Welt.

Und wenn auch nicht mehr Lepra, dieses Abfaulen bei lebendigem Leibe, in der Welt ist, so doch andere, neue Aussätzigkeiten; so immer noch, ja mehr denn je all das, was die Genuss- und Profitwelt mit nur einer Pille, einer Spritze weghaben möchte, denn nichts bereitet ihr so Angst wie die eigene Auflösung ins Nichts, an das allein sie zu glauben fähig ist und nach der sie unsere Welt zurichtet: Es lebe der Tod!

Mir fiel Paulus ein, der große Theosoph, dessen Denken, Fühlen und Wollen vor Damaskus umgestülpt wurde: „Der Tod ist der Sünde Sold“. Auch so ein aus der Zeit gefallenes Wort. Steht man nicht vor so einem Satz wie vor einem vergitterten Raum? Kein Zutritt ins Innere. Der Hausherr ist abwesend auf unbestimmte Zeit. Wo ist der Schlüssel?

Gottes Lamm, Christus und die Sonne – das ist auf Gotland ein großes Thema. Auf den Bildsteinen mit ihrer Sonnenverehrung klingt es an, wird dann in den fast hundert Kirchen auf der Insel, in den alten Hofkreuzen, die hier und da noch stehen, vielfältig verarbeitet und variiert.

Mir kommt Rembrandts Hundertguldenblatt vor mein inneres Auge: Christus heilt die Kranken – hat das eigentlich irgendetwas zu tun mit unserem Immunsystem?

St. Göran ist verschlossen. Oder sind  w i r  in Wahrheit die Verschlossenen, Ausgeschlossenen, die Außen-Vor-Gelassenen?

 

Im Sommer sind die Kirchenräume auf Gotland alle geöffnet, manche auch des Nachts – zugänglich und voller inniger Schönheit, Gemütsfülle und einem Weltschmerz – voller Weh und Mut.

Und die Kirche, die Konfessionen? Sind sie nicht befallen von der Auszehrung, von des Gedankens Blässe und  von Geschlechtskrankheiten? Protestieren Protestanten noch, so wie ein Luther, ein Niemöller, ein von Galen, ein Stauffenberg, ein Drewermann? Heute wird der 80-Jährige durch seine fundierten Äußerungen zum Coronakomplex und zum Kriegsgeschehen den „Querdenkern“ zugerechnet – erledigt ist der Mann damit bei denen, die meinen, die Öffentlichkeit beherrschen und kontrollieren zu müssen.

St. Göran ist verschlossen.

Jetzt sehen wir im Spiegel nur dunkle Umrisse. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk. Dereinst aber geht es von Angesicht zu Angesicht.“ (Paulus im Brief an die Korinther).

Dann wird St. Göran zurückkehren in sein Haus.

 

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18. Juli 2022
 
 
Verwandeln des Lebens

 

Die Betglocke läutete das Ende des Gottesdienstes ein – immer, wenn das Vaterunser gesprochen wird, schlägt ja zu diesen Worten Zeit und Klang der Glocke. Doch fand ich die Nachmittagsstunde dafür ungewöhnlich. Ich vermutete eine Taufe, und fand dies wenige Minuten später durch die vielen jungen oder mittelalten Paare und die munter aus dem dunklen Kirchenportal hervorsprudelnden Kinder bestätigt.

Ich hatte mich gegenüber des Eingangs auf eine beschattete Bank an der Friedhofsmauer gesetzt. Dort verweilte ich und ließ die Szenerie auf mich wirken,

Die Kirche von Fröjel an der Westküste Gotlands, unweit der Reste eines einst bedeutenden Hafens der Wikingerzeit gelegen, erhebt sich auf einem Plateau, von wo aus der Blick den weitläufige Friedhof, das mittelalterliche Friedhofsportal und das Meer mit den Karlsinseln überschaut. Schwerlich wird man auf Gotland einen schöner gelegenen Hafen für ein Kirchenschiff finden.

Aus dem Innern der Kirche kam nun eine junge Frau heraus, die offensichtlich den Küsterdienst versah. Warum auch sollte das immer nur ein altes, graues Faktotum sein, wie man es aus alten Romanen kennt? Eine adrett gekleidete Frau aber war es hier. Sie trug eine goldfarbene Schale in der Hand, die sie nun mit einem eiligen Schwung neben einer großen Grabplatte ausgoss – das Wasser hatte seinen Zweck beim kleinen Täufling erfüllt, nun musste es entsorgt werden.

Ob ihr bewusst war war, was sie getan hatte? Eben noch war doch dieses Wasser Teil der Taufhandlung gewesen, noch dazu hatte das kleine Mädchen seine Taufe aus einem der berühmten gotländischen Taufsteine empfangen, der seit hunderten von Jahren in Gebrauch ist. So fremd, rätselhaft und bilderreich-unterschiedlich die steinerne Bildsprache darauf für uns Heutige oft auch wirkt – eines haben alle diese Taufen doch gemeinsam: sie haben allesamt die Form eines großen Kelches,

Das Wasser aber erfährt als Taufwasser eine Verwandlung zum Wasser des Lebens, und seine reinigende und segnende Kraft führt übers Banale hinaus in eine andere, erneuernde Tiefe – so jedenfalls der Glaube. Und ist nicht jede mittelalterliche Kirchenarchitektur auf diesen Weg und dieses Ziel hin ausgerichtet? Ursprünglich aber war der Taufstein im Westen, im Eingangsbereich der Kirche aufgestellt, was vereinzelt noch in einigen gotländischen Kirchen zu sehen ist, ebenso wie auch das Weihwasserbecken, sozusagen als kleiner Bruder des Taufbeckens – erinnert man sich doch, sofern katholischen Glaubens, beim Betreten eines Gotteshauses stets wieder der eigenen Taufe.

Geweihtes Wasser – für viele ist das jedoch nur noch ein Aberglaube, dessen materialistisches Dogma aber zum Beispiel seit den Forschungsarbeiten von Wilfried Hacheney, Theodor Schwenk, Viktor Schauberger oder Masaru Emoto deutlich ins Wanken geraten ist.

Nun, Pragmatismus und (Un-)glaube hin und her – die Küsterin hatte das Taufwasser draußen über einem Grab entleert, wohl in Ermangelung eines Abflusses im Kirchenraum.

Mir aber schien, als hätte sie keinen passenderen Ort als den Friedhof und ein Grab zum Ausgießen des Taufwassers wählen können – Taufwasser – Wasser des Lebens…

 

Während solcher Gedanken sah ich eine Mutter mit zwei kleinen Jungen durch das Labyrinth, das östlich der Kirche mit Steinen in die Wiese des Kirchhofes eingelegt ist, hin und herlaufen. Die Jungs wuselten, vielleicht Fangen spielend, durch die Windungen, mitunter dabei stolpernd, während ihre Mutter sich dagegen ruhigeren Schrittes durch dieses uralte Modell menschlichen Lebens und Schicksals hindurchbewegte.

Unterdessen hatte sich eine Frau mittleren Alter von den vor der Kirche noch Zusammenstehenden gelöst und bewegte sich in meine Richtung. Unweit von mir hielt sie an einem Grabstein inne. Wer mochte dort begraben liegen? Ihr Lebenspartner?

Nach einer stillen Weile wendete sie sich zum Gehen,

Mit einer Geste, als würde sie jemandem zum Abschied noch einmal zärtlich über die Schulter streichen, berührte ihre Hand eine Ecke des Grabsteines, der sich für mich in diesem Moment in den Körper eines noch Lebenden verwandelte, so vielleicht, wie gewöhnliches Wasser sich in Tauf- oder Weihwasser wandelt. Oder wie Brot und Wein beim Abendmahl. Unser Blick, unser Sehen verwandelt die Dinge, wenn es im Innern getan wird.

Nach einer Weile war der Friedhof menschenleer. Die Menschen, der Pfarrer, die Küsterin – allesamt waren sie in ihre Autos gestiegen und davongefahren.

Neugierig suchte ich nun das Labyrinth auf, das offensichtlich sorgfältig instand gehalten und vom wachsenden Gras freigehalten wird. Seit unausdenklichen Zeiten soll es sich an diesem Platz befinden, – ein Labyrinth, wie ich es etwa aus den Kathedralen von Amiens oder Chartres kenne.

Während ich mich durch die größeren und kleineren Schlingen auf den Mittelpunkt des Labyrinths zubewegte, klang eine alte baltische Weise in mir auf:

Wechselnde Pfade,

Schatten und Licht

Alles ist Gnade,

Fürchte dich nicht.

Zwischen den Steinen, die die Bahnen meines Weges markierten, nickten hier und da vereinzelt stehengebliebene Glockenblumen oder Blåeld im Sommerwind, trunken umflattert von einem prächtig gemusterten Falter – ein Perlmutfalter war’s, ein Bote des Lichts und der Leichtigkeit, der meinen Weg begleitete …

 

                                Labyrinth von Södra Hallarna im Süden Visbys                                                           

 

22. Juni 2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Auf der Suche nach der Trollorgel

(PDF, Lesezeit 7′)

 
 
 
 

 

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11. Mai 2022

Schlüsselerlebnisse oder

Höre, so wird deine Seele leben (PDF, Lesezeit 7′)

 

 

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22. April 2022

 

Die kleine Göttin (PDF)

 

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18. März 2022

Bäume und Menschen (PDF, Lesezeit 10′)

Teil 1 Die Buche

 

 

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Unbefangene Sicht

Der siebenjährige A., als er von den verschiedenen Möglichkeiten, einen Brief zu befördern hört: “ Wie schafft es eigentlich der Wind, dass die Briefe so genau in den Briefkasten wehen?“

 

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8. Februar 2022


Fanal

Am 7. Januar ist zum erstenmal  einem Mann in den USA ein Schweineherz implantiert worden. Bisher sieht es gut für ihn aus. Nach Angaben der Maryland Universität in Baltimore geht es dem 57 -jährigen nach dem aufsehenerregenden Eingriff den Umständen entsprechend gut. Die OP sei wissenschaftliches Neuland und ein Riesenerfolg, nachdem die erste Herztransplation von Schwein zu Mensch in Deutschland nicht einmal 24 Stunden anhielt. Die besondere Meisterleistung lag dabei darin, die verschiedenen Immunabwehrmechanismen des Menschen „zu umgehen oder anderweitig auszuhebeln“. Damit das Schweineherz für den Menschen verwendet werden kann, muss das Erbgut des Spendertieres verändert werden. Das Schwein ist zudem eine besondere Züchtung und ist u.a. garantiert frei von HIV, dem Tollwutvirus und anderen bedrohlichen Erregern. 

Joachim Denner, Transplantationsexperte der FU Berlin klärt uns dazu auf: Wenn die Technologie weiterentwickelt ist, könnte es sein, dass es sogar besser ist, ein Schweineherz zu bekommen als ein Menschenherz.“

Kommentar eines Jugendlichen beim Hören dieser Nachricht aus der Süddeutschen Zeitung vom 8. Februar 2022: „Grunz, grunz! Da wird der Patient wohl erst wieder die Menschensprache lernen müssen … .“

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31. Januar 2022

Väsen (PDF)

Von Naturgeistern und dem Schutzmann Arnold Karlsson (Lesezeit ca. 10′)

 

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28. Dezember 2021

Das Märchen vom Hühnchen und Hähnchen (PDF)

(Aus aktuellem Anlass)

 

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1. Dezember 2021

Eine Erinnerung an den unsterblichen Geist des Unfreien

Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln, und wenn diese Knaben mit zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen und dort oft zum ersten Mal überhaupt eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre. Und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei, in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps) und so weiter. Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort geschliffen.(…) Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassen- oder Standesdünkel da und dort noch vorhanden sein sollte, das übernimmt die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre. Und wenn sie nach zwei, drei oder vier Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS und so weiter und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben. (A. Hitler, zitiert aus einer Parteitagsrede an die deutsche Jugend, Reichenberg 1938).

 

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20. Oktober 2021

Die Prinzessin von Schwarzenraben (PDF, Lesezeit ca. 7′)

 

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18. September

Kurzes Märchen zur Bundestagswahl

Vor langen Zeiten, als das Wünschen nur selten noch half, sagte der Papst zum Kaiser:  Ich halte die Schafe dumm. Halte Du sie arm. Und da sie nicht gestorben sind, so …

 

 

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24. September 2021

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Steinreich (PDF)

 

22. September 2021

 

Der Schneidermeister (PDF)

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4. September 2021

Es gibt ein Wissen,

weicher als Wasser, leichter als Luft, dünner als Dunst,

das durch verschlossene Türen dringt;

das Wissen weilt überall

und windet sich und wittert und drängt durch alles durch,

und ist ein solches Wissen,

dass es alles Sein ausmacht

und außer ihm nichts über seinem Wesen ist –

kein Stein und kein Haus, kein Bruder und kein Sohn,

kein Graf und keine Grafschaft, kein Gefälle und keine Zölle,

kein Recht und keine Pergamente;

das ist ein Wissen,

so nah wie die Stimme über Strom und Eis,

die sich aus Dunkelheit

der Dunkelheit und der dunklen Bangigkeit erbarmt.

Das Wissen ist ohne Furcht

und ist das Wissen über alles Wissen

und gehorcht sich selbst,

gleich als ob es sich selbst geschaffen hätte. (Ernst Barlach)

 

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15. August 2021

Diary of Sounds

Lau kyrka, Gotland, 5. Juli 2021

 

„Aber da stellt sich die Frage, ob nicht Musik immer mit Schwermut versetzt ist? Auch Mozart: wie anders könnte er sonst über die Traurigen etwas vermögen? Es gilt doch wohl, dass Musik ohne das ganz unerträglich sein würde. Wie auch ein Mensch, dem Schwermut ganz fremd ist, so schwer erträglich, ja so unheimlich ist wie einer, der sie unverdeckt lässt und öffentlich darin versinkt.“ (Erhart Kästner in: „Die Stundentrommel vom Heiligen Berg Athos“).

 

Tears and light

 

Lied über den Dingen

 

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 Bahnhöfe zwischen Himmel und Erde (PDF, Lesezeit 3′)

 

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Eingeständnisse (PDF, Lesezeit:  3 x 0,5 Minuten, ehe man es glauben kann)

 

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19. Juli 2021

 

Begegnung mit Emma (PDF, Lesezeit 5′)

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14. Juli 2021

Der Lerchenchor (PDF, Lesezeit 5′)

 

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13. Juli 2021

 

Baraberget bei Vallstena/Gotland

Unvermittelt nach einer Biegung der kleinen Landstraße zwischen Hörsne und Vallstena erhebt sich markant Baraberget, der Baraberg, in einer unbezähmbar und heidnisch anmutenden Wildheit zwischen dem umgebenden kultivierten Wiesen und Ackerland.

Stark ist der Ruf, der von dort herandringt. Mein Fuß geht auf die Bremse. Auf der Informationstafel am Parkplatz erfahre ich: Bronzezeitlich – eisenzeitliche Fornborg, Fliehburg. Aufhorchen über den flachen Allgemeinplätzen aber lässt mich die in groben Zügen wiedergegebene Sage von einer Esche, die am höchsten Punkt des Berges gestanden haben soll, und die ihr Laub das ganze Jahr nicht abwarf. Ihre Kräfte weckten Begehrlichkeiten, die schließlich zum Verdorren des Baumes führten …

Yggdrasil, der Weltenraum und sein Abbild. In der Edda heißt es über ihn:

Diese Esche ist der größte und beste aller Bäume, sie verknüpft Himmel, Erde und Hölle/Hel. Ihre Krone überragt den Himmel Asgard, ihre Äste und Zweige treiben durch die ganze Welt bis Utgard und ihre drei Wurzeln dringen zu den Hrimthursen, nach Niflheim und zu den Asen.

So also teilte dieser sommers wie winters immergrünende Baum und Ableger Yggdrasil das Schicksal so vieler vorchristlicher Baumaltäre und Tempel ohne Dach.

 

Ein steinerner Grabhügel aus späterer Zeit, aber immer noch mythischer Vorzeit, die wir mit „Bronzezeit“ etikettiert haben, wölbt sich anstatt seiner – die zerstörende, nackte materielle Gier der Grabräuber und Schatzsucher aber hat wie vielerorts auf der Welt nur noch eine Ruine des einstigen Heiligtums hinterlassen, einem erloschenen Krater gleichend. 

Mein Blick schweift von hier über die weite Ebene, über Wiesen, über das duftende Gewoge von Getreidefeldern und Wäldern. Unaufhörlich überjubelt Lerchengesang dieses weite Land, verwandelt es im Frühling und Sommer in eine klangerfüllte Seelenlandschaft,  erfüllt  vom perlenden Glanz der Töne und Lieder, die ohne Anfang und Ende scheinen. Unvermittelt wie sie beginnen enden sie auch – Ausschnitte aus einer unendlichen Monodie, die immer schon klang und immer sein wird, wären nicht wir,  der eingreifende Mensch und sein Menschenwerk. 

Besonders abends, wenn die Winde schweigen, verdichtet sich der Eindruck von zeitloser Weltenferne, in der die Elemente mit ihren ewigen Kreisläufen des Werdens, Blühens, Fruchtens und Vergehens deutlicher zutage kommen.

Unbewohnbare, nicht urbare, weit ausgedehnte Alvarheide und dichte Wälder aus Kiefern und Wachholder – Urwälder, karstige Urheide und steinübersäte Urstrände, kaum verändert seit dem Ende der Eiszeit, grenzen hart ans Urbare: gezähmte und nutzbar gemachte Kulturland, mit den Intermezzi von kleineren oder größeren Inseln aus alten Baumgruppen, Waldstücken und Steinhaufen – Rückzugsgebiete für das Wild, für Sing- und Raubvögel und die geschuppten Nachfahren der Saurierdrachen: Echse und Schlange. Im unergründlichen Schweigen des weiten Moores sah ich mir zu Füßen noch etwas eilig Davonschlängelndes, Schwarzes – wie ein erdgebundener Todesbote war’s, wehte mich unheimlich an .

Die Melancholie dieser schier unergründlichen Raumestiefe und Weite von Wolkenlandschaft und Erdlandschaft – sie würde die Seele wohl nach und mit Schwermut füllen wie ein schleichendes Gift, das das Licht des Ich auslöschen könnte,  wären da nicht die begrenzenden Wegränder, die reich und farbig blühenden Säume der Feldraine, der Landstraßen mit ihrer überschwenglichen Fülle an Blüten und Buntheit, Mischungen aus Bekanntem und Unbekanntem – heitere Borten des Liebeslebens zwischen Blütenreich und dem rauschhaft summenden, sirrenden und flügelschwirrenden Insektenreich. Wer dafür Ohren hat, kann ihr  heiteres Lebenslied vernehmen: „En vänlig rika gröska dräkt/ nu smyckar  das och ängar …“.

„Geh aus mein Herz, und suche Freud…“ wäre wohl die passende, sinngemäße Übertragung des berühmten Sommarpsalm, diesem schwedischen Lied der Lebenslieder, mit der die von sommerlicher Schönheit erfüllte Seele sich verströmen möchte.

Über dem Baraberg oder auch Bjärshög, die auf dem Wege zwischen Norrlanda und Djupvik an der Ostküste ähnlich in die Landschaft gebettet ist, weben und schweben Bilder längst vergangenener Geschehnisse. So auch über den endlosen Wachholder-Steinheiden und den Krüppelkiefern des Alvar, den einsamen, von Steinblöcken übersäten Strandwiesen und dem Seeadler-Königreich des „Paradiset“ bei Ronehamn, den zahlosen Mooren und Wäldern, in denen verborgene Grabhügel noch ungeöffnet schlummern mögen. Kein Grabräuber entdeckte sie in der Waldestiefe, kein Touristenführer hat sie verzeichnet, es sind ihrer zu viele.

Ahnungen wehen und flüstern hier überall,  von lang verklungenen Gesängen und Riten, von Blutopfern über den Blutrinnen der Opfersteine und dem Rauch der Brandopfer – traumartiger Widerhall, der Antwort und Verstehen sucht.

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Etwas später stehen wir vor der ungewöhnlichen und kühnen Konstruktion der Kirche von Vallstena. Auf dem Vorplatz  ist ein rekonstruierter vorchristlicher Bildstein aufgestellt – jenen im Original unmittelbar magisch ausstrahlenden Steinbildern archetypischer Kräfte und Mächte – Spirale und Kreis, Kreuz und Schlinge, Schlange und Drache, Schlangenfrau und Drachenkämpfer; 

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Ahnenstein, Opferstein, Geschichtenstein, der an Heldentaten, an Initiationen  erinnert, Erinnerung wachhaltend für den, der dies noch zu sehen, zu lesen verstünde: angehaltene Zeit, ein Ausschnitt aus der Zeitlosigkeit im  „Ewigen“ des Steins … .

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Ausschließlich auf Gotland wurden diese Bildstein aufgefunden –  schrift- und namenlose Vorgänger der späteren Runensteine, manchmal als „Heidensteine“ vermauert in eine Kirchenwand wie  z.B. in Bro, oder aufgefunden als Schwellenstein, jedoch mit der sprechenden Seite nach unten, dem Anblick entzogen.

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Immer galt es dabei wohl, diese Steine zu entmachten, zu entladen, ihre Wirkung zu bannen, sie dem neuen Glauben an den menschgewordenen Gott zu unterstellen… . Immerhin – viele wurden nicht einfach nur in Stücke zerschlagen. Die Ehrfurcht vorm steinernen Erbe war und ist groß, aller Bildestürmerei zum Trotz.

 

Wer gedenkt noch der Sensation den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als aus den schwarz- weißen Fernsehbildern farbige Bilder wurden?DSC01056

In Analogie: Als die seefahrenden gotländischen Händler von den fernen Küsten des Mittelmeeers zurückkehrten, wo Tempel und Götterstatuen bunt bemalt waren, mag diese faszinierende Farbigkeit auch Einzug in die steinernen Bilder der Gotländer gehalten haben. 

Der  rekonstruierte Vallstena-Stein gibt davon einen Eindruck  – etwas befremdlich freilich, weil die Qualität der Farben dem Stein sein Geheimnis nimmt. Vielleicht liegt es an ihrer künstlichen Chemie?

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So ja auch bei den mit roter Farbe überdeutlich nachgezeichneten Felsritzungen, etwa am Kinnekulle in Mittelschweden.

 

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Aber was wissen wir in der Didaktik archäologischer Betrachtunsweise Befangenen schon von damals? Vielleicht wurden die Einritzungen immer neu mit Opferblut nachgezeichnet, und die Archäologie hat gar nicht so falsch mit der roten Farbe gelegen? Nicht nur ist Blut ein ganz besonderer Saft, sondern sein Rot ist eine ganz besondere Farbe, sehr innerlich, aufweckend, erschreckend.

Wie anders wirkt dagegen der bemalte Stein im Innern der Kirche, etwa im Triumphbogen, welcher Langhaus und Chorraum voneinander abgrenzt. Alles ist da Beseelung, beseelter Stein, beseelter Bogen, beseelte Wölbung – eine erdige Astraltät, aus  goldener Tiefe aufschimmernd. 

Vallstena

 

Den Architekten und Restauratoren Gotlands der 50-er und 60-er Jahre des 20. Jahrhunderts aber kann man nicht dankbar genug dafür sein, dass sie die protestantischen Übertünchungen beseitigt und dem magischen Realismus des verschlungenen Rankenwerks von Rosen, Lilien und den vielfältig-rätselhaften Wesen der Drachenzeit wieder seinen Erscheinungsraum zurückgaben.

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13. Juni 2021

Was ist Realität?

Der Physiker Heinz von Foerster (Zum Ansehen anklicken, Dauer  ca. 5′)

 

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Kunst zu leben (PDF)

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Böser Traum (PDF)

 

 

 

 

 

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7. Juni 2021

Gotland hin und zurück (PDF)

 

 

 

 

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17. Mai 2021

 

 

Goethe_am_fenster_tischbein-2

                                     Goethe am Fenster (PDF)

                                                                 (Lesezeit ca.30′)

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3. Mai 2021

Cogito – ergo? (PDF)

 

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2. Mai 2021

Die Propheten (PDF)

 

Lernfortschritte und Zukunftsaussichten (PDF)

 

24. April 2021

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Maskenball (PDF )

„Irische Apothekerin ist neue Chefin der EMA.“

(Überschrift der Pharmazeutischen Zeitung vom November 2020 (https://www.pharmazeutische-zeitung.de/irische-apothekerin-ist-neue-ema-chewfin-121238/

 

(Auf einem Maskenball in einer großen Stadt steht eine irische Apothekerin an einem Stehtischchen, umringt von ihren Gratulanten, und es knallen die Sektkorken … .)

 

 

 

7. April 2021

Poesie zweifelhafter Versprechungen (PDF)

 

 

 

(Aus Werbebeilagen von Kaufland, REWE, toom, Einkauf aktuell, EDEKA)

 

8. März 2021

Scan 1                                             Kopfweiden bei Esbeck/ Westfalen. Kohlezeichnung von Siegfried Motog,1947

 

Erlkönigs Lächeln (PDF, Lesezeit 15′)

 

Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau,/ es scheinen die alten Weiden so grau …“

 

 

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Die Himmelstür (PDF)

 

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Ein Philosoph (PDF)

 

 

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17. Februar 2021

 

 

Som Stjärnan …(swedish trad.)

 

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31. Januar 2021

 

Was können und könnten die superreichen und so wohltätigen technokratischen Gesinnungsgenossen dieser Welt nicht alles bewegen mit ihren Dagobert-Duckhaften Ersparnissen, die die Staatshaushalte vieler Länder unseres Planeten übertreffen. Gigantische Fabriken entstehen da in Windeseile, fressen zusehends Wälder, Landschaft und saugen das Wasser in der Tiefe auf, vernetzen und vermüllen den Weltraum mit Satelliten und den Maschinationen superschneller künstlicher Intelligenz, deren Vision „Star Wars“ schon vor Jahren in den Puppenstuben und Kinderzimmern wie selbstverständlich Platz eingenommen hat. Alles, was diesen ach so menschenfreundlichen Visionären ausdenkbar ist , ist ihnen auch machbar, gerechtfertigt durch die unbegrenzte Bezahlbarkeit, und ungebremst durch ein – vermeintlich – hoffnungslos antiquiertes Menschen- und Weltbild. Nur eines können sie nicht, diese Kämpfer für das „Gute“, diese Streiter für ihre höchst egozentrischen Wahrheiten: sie können keinen „Frieden auf Erden“ und vor allem keine Liebe machen. „Und hättet der Liebe nicht“ aus dem  Korintherbrief – das bleibt eins der großen Schlüsselworte, dessen Goldgehalt sie wahlweise umzumünzen versuchen in goldlackiertes Blech oder, wie Andersen es in einem seiner Märchen betitelte, indem sie in Orwell’scher Manier „die Schilder vertauschen“.

Die verbreitete Denkungsart, die sich – einer gepanzerten Echse gleich – nur in verneinenden Kategorien wie „Gegen“, von „Kampf“ oder gar „Krieg“ zu bewegen vermag. Das ist schon in biblischen Bildern angelegt wie in dem von St. Michaels Kampf mit dem Drachen. Schon im Kleinen, Alltäglichen wirkt das. So sagt man zu einem unruhigen Kind schnell mal:“ Hör auf rumzukippeln“, oder:“Sitz endlich still!“  anstatt zu sagen:“ Stell deine Füße auf die Erde und spüre den Boden unter deinen Füßen!“ oder:“Achte mal auf die Bewegungen deiner Lippen beim Sprechen“, wenn ein Kind sehr leise und schüchtern spricht. Einem Stotterer ermöglicht man zu singen oder rhythmisch-Gereimtes zu sprechen, anstatt ihm zu sagen, er solle aufhören zu stottern, er müsse doch keine Angst haben … .

Oder, auf anderer Ebene, die eine Siebenjährige so ausdrückt: „Ich möchte nicht nach einer Fibel lernen, ich will in m e i n e r   Freiheit lernen, will die Sachen aus meiner eigenen Freiheit machen …“.

 

Übertragungen ins größere Geschehen angesichts der herrschenden Kampf- und Kriegsparolen gegen die Ungläubigen, gegen den Terrorismus, gegen den Klimawandel, gegen Corona. So mutierte der Kampf gegen die „Ungläubigen“ im Mittelalter und gegen den neuzeitlichen Terrorrismus selbst sehr schnell zum Terror, der seit Jahrhunderten immer aufs neue missgebiert, was zu bekämpfen und zu besiegen er doch vorgibt. Und im Kampf gegen ein reales Virus hat man so eine zweite Pandemie realer und ansteckender Angst erschaffen, mit all den Folgen für Psyche und Soma und für unsere sozialen Schutzhüllen. Mit dem Virus leben“ klingt da weitaus vernünftiger, ist aber für die Profiteure von Angst und Terror weitaus unrentabler.

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„Alle machen sich Gedanken, wie man Terrorismus beenden kann. Nun, es gibt einen wirklich einfachen Weg: indem man damit aufhört, daran teilzunehmen.“ (Noam Chomsky)

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Auch Musikkonserven haben ihre Verfallsdaten, nach deren Ablauf diese Klangbilder ungenießbar werden. Was einst als epochales Ereignis galt, als Aufnahme festgehalten, kann nach Jahrzehnten beim Anhören nur noch schwer erträglich sein.  Über unsere Aufnahmen wird man später einmal lachen – so äußerte sich Nikolaus Harnoncourt (1928 – 2016) dazu selbstkritisch.

 

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18. Januar 2021

Gesichter, Physiognomien und deren Tonarten, deren „Klang“: Gesichtszüge in Moll, in Dur; darin verminderte Akkorde, übermäßige; leere Quinten; reines, strahlendes Dur; wenn eine Anspannung weicht: Septimakkorde, sich zur Grundtonart auflösend. Sehnsucht: der Quartvorhalt, seine Terz umspielend.

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12. Januar 2021

J. S. Bach, dieser Machtvolle, Unbegreifliche; einer aus einer bestimmten Art der Tiger : ein Ermutiger.  Die Eingangssätze der Kantaten „Herz und Mund und Tat und Leben“ , „In allen meinen Taten“, „Wie schön leucht uns der Morgenstern“, „Es ist das Heil uns kommen her“…  (Netherlands Bach Society „AllofBach“)

 

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7. Januar 2021

Der Doppelgänger der USA (PDF anklicken)

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